Gedanken auf einer Fahrt von Phillipsburg nach Homburg – Saar

Es war an einem Januarnachmittag, an dem sich die Sonne so kurz nach der Wintersonnenwende, erst sehr flach über den Horizont erhebt. Sie stand als große rote Scheibe am Himmel der von Nebel durchzogenen Rheinebene, und berührte bereits die kahlen Wipfel der Pappeln, die eine in der Ferne liegende Strasse säumten. Meine Frau und ich fuhren von Phillipsburg kommend nach hause, nach Homburg – Saar. Wir hatten die Sachen unserer Oma, die in den Zollkisten aus Rumänien angekommen waren, geholt.

Bevor wir von Zuhause aufbrachen, stellte meine Frau die Frage, ob wir wohl alles mitbringen könnten, denn wir hatten ja nur einen Personenwagen. Ich verwies auf die auf dieser Fahrt nicht genutzte hintere Sitzbank, die wir auch noch, sofern nötig, zur Verfügung hätten.

Vor Ort luden wir die Sachen in den Kofferraum, und es stellt sich recht bald heraus, dass wir die Sitzbank nicht in Anspruch nehmen mussten. Es war nicht viel, was es zu verstauen gab. Eine Tuchent, ein großes und ein kleines Kissen, mehrere aus der schwäbischen Bauerntracht umgeschneiderte Kleider, Unterwäsche, drei Satz Bettbezüge, Hand- und Taschentücher, Emailgeschirr, Schüsseln, Teller, Eßbesteck, Trinkgläser, einen Fleischwolf, einen Nudelwalker, das Nudelbrett und eine Pendeluhr.

Während der Heimfahrt war meine Frau sehr wortkarg, und so kam es, dass wir nur das Aller notwendigste sprachen. Als die Sonne unterging, saß mein Frau mit geschlossenen Augen neben mir und ich rätselte, ob sie wohl dieselben Gedanken hatte wie ich. Ich dachte nämlich darüber nach, ob das, was im Kofferraum eines Personenwagens lag, tatsächlich der materielle Ertrag von 270 Jahren harter Arbeit ist. Was würden unsere sparsamen, und fleißigen Vorfahren, die mutig den Kampf mit einer sumpfigen und Fieber verseuchten Landschaft aufnahmen, sagen, wenn sie wüßten, dass am Ende der Lohn und das Erbe von Not und Entbehrung, von Opfern und Fleiß von mehr als einem Vierteljahrtausend, die Früchte des Schweißes von mehr als 10 Generationen auf einen Rest zusammengeschmolzen ist, der in einem Kofferraum Platz gefunden hat, und der materielle Wert des Inhalts vermutlich geringer ist, als der anteilige Wert des 450 Liter Gepäckraumes, in welchem er sich befand. Ob sie wohl verstünden, was geschehen sein muss, dass Menschen, die als an ihre Scholle gebunden galten, bereit sind, mit einem kläglichen Rest an Habe ihre Heimat zu verlassen.

Wahrscheinlich nicht, denn sie würden sicherlich nicht glauben wollen, auch nicht fassen können, was sich seit 1944 in unserer ehemaligen Heimat, in unserem Banat, an tragischen Ereignissen zugetragen hat, wie es all die anderen Menschen, die das Glück hatten, nicht unter einem totalitären Regime kommunistischer Prägung, oder wie es im heutigen Sprachgebrauch heißt – in einem Land des real existierenden Sozialismus leben zu müssen, auch nicht, oder nur sehr unvollständig verstehen.

In Gedanken bat ich sie um Nachsicht und Verständnis, weil auch wir, wie einst sie selbst, nicht aus Abenteuerlust und Übermut, sondern aus seelischer, moralischer und materieller Not, und um unseren völkischen Fortbestand bangend, handelten. Die Sorge um die kommenden Generationen prägte unser Denken und unsere Entschlüsse. Zuhause angekommen, tauschten wir unsere Gedankenwelt gegen den erfreulichen Alltag der Gegenwart.

Josef Michael Tuch Homburg – Saar Januar 1990

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