Auf in die Alte Heimat

Unter diesem Moto versammelten sich 50 Neu-Arader im Juni in Ingolstadt. Hans Anton(Toni), unser unermüdlicher Organisator und Freund, gab uns  wieder einmal die Möglichkeit das Banat zu besuchen.

Die Wiedersehensfreude war groß. Es trafen sich Nachbarn, Freunde und Verwandte, nach langer Zeit wieder. Umarmungen, Händeschütteln, manchmal auch ein verzagtes und verschämtes „Wer bist du?“ waren der Anfang unserer Reise in die Vergangenheit.

Am späten Abend ging die Fahrt, Richtung Arad, los. Das Gepäck verstaut, den Platz im Bus eingenommen, die Freude noch kaum verdaut, mit Tränen in den Augen, im Herzen die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit mit Freunden aus Kindertagen, so begann unsere Zeitreise.

Wer schon einmal mit Toni gereist ist, weis dass es schön und lustig wird. Viele ältere Neu-Arader wollten den Himmel über Neu-Arad sehen. Ich traf einen Herrn, der seine Heimat seit dem Krieg nicht mehr gesehen hat. In seiner Jugend wohnte er in unserer Gasse. Alle waren bereit die lange Fahrt auf sich zu nehmen, um ihre Geliebten Orte wieder zu sehen. In der zweiten Hälfte des Busses saßen die „Jungen“(ab 60). Das Gelächter fing schon nach kurzer Zeit an. Einer wusste eine lustige Begebenheit aus der Kindheit, oder aus der Schule zu erzählen, der andere war Spezialist im Witze erzählen. Unser Geist sog alles in sich auf, unsere Seele erwärmte sich und unser Körper entspannte sich. Vergessen war jedes Problem, jede Krankheit und so manches Leid. Wir waren für kurze Zeit wieder Kinder, für kurze Zeit wieder „dahaam“.

Doch auch muntere Geister werden müde. Das Licht erlosch im Bus und Ruhe kehrte ein.

Die Sterne und der Mond in seinem hellen Licht begleiteten uns und alle Engel flogen mit.

Im Traum sahen wir unser geliebtes Neu-Arad, die sauberen Häuser, die vertrauten Gesichter, die Spielplätze der Kindheit. Wir erinnerten uns an den Duft des frischen Bäckerbrotes, das Oma schon um fünf Uhr morgens geknetet hatte, an die Erde die nach dem Regen so heimatlich roch, an die Maulbeeren im Sommer und an den gekochten Mais im Winter.

Lange konnten wir nicht träumen, denn die ersten Sonnenstrahlen weckten uns in Ungarn.

Die Sonne war jetzt unsere Begleiterin. Sie schickte uns die Botschaft „bald seid ihr da, bald seht ihr die blaue Marosch und die Brücke die ins Traumland führt. Die Trommel in unserem Herzen schlägt Alarm. Das Blut geriet in Wallung, die Erwartung und die Freude stieg.

Ernüchterung weckte uns sobald wir in Arad ankamen. Als ob die Zeit stehen geblieben wäre so sahen manche Gebäude aus, andere thronten  majestätisch über die Stadt. Das prunkvolle Rathaus, das Theater, die schöne katholische Kathedrale, versetzen uns in eine längst vergangene Zeit. Das Gewerbegebiet, die vielen neuen Geschäfte, das uns Unbekannte in Arad, läst uns erwachen und uns feststellen,“ hier sind wir nicht mehr zu Hause.“ Das Gefühl der Zugehörigkeit zu diesen Plätzen ist aber so tief in unserer Seele eingebrannt dass es unwichtig ist ob wir hier wohnen oder nicht, es bleibt unser „Dahaam“. Neu-Arad, von unseren Vätern und Großvätern erschaffen, ist jetzt anders als wir es kannten, doch geliebte  Orte, sind Orte des Glücks,auch wenn viel Staub darüber liegt. Die Häuser mit ihren großen traurigen Fensteraugen, scheinen uns zuzurufen „wo seid ihr geblieben!“ Die Menschen die jetzt hier wohnen, haben andere Bräuche und Sitten, andere Einstellungen zu Haus, Garten und Hof, zu (unserer) Kirche und zu (unseren) Friedhof. Alle hier geben aber ihr Bestes. Sie pflegen „ihre“ Häuser, „ihre“ Gärten und „ihre“ Kirchen nach „ihren“ Möglichkeiten. Oft fehlt es an allen Ecken. Die Menschen hier sind aber stolz auf das was sie leisten und geschaffen haben. Überall werden wir freundlich empfangen. Gastfreundschaft ist bei ihnen höchstes Gebot. Sie zeigen uns „unsere“, ihre Häuser, „unsere“ ihre Gärten. Bestimmt sahen wir viele Orte die nicht nach unsren Vorstellungen gepflegt werden, aber wichtig ist doch dass wir noch „haam„ kommen dürfen. Für einige Zeit wieder Neu-Arader Luft atmen dürfen und dann in den Genuss kommen dürfen, wieder nach Hause zu kommen, das zu Hause das wir schätzen , wo unsere Lieben jetzt sind, leider aber verstreut in ganz Deutschland.

Die Löwen vor unserem Hotel am Maroschufer empfingen uns mit lautem Gebrüll.

„Willkommen ihr Neu-Arader.“ Die Wellen der Marosch rauschten vor Glück und von Weitem schlug die Turmuhr der Neu-Arader Kirche zum Willkommensgruß an. Müde war nach dieser langen Fahrt keiner mehr. Das Maroschufer lud zum Verweilen ein. Es begrüßten uns die Bäume, die Blumen und das Gras. Die alte Trauerweide aber weinte vor Glück, uns wiederzusehen.

Am Sonntag besuchten wir Temeswar. Imposant und einladend ist das Zentrum. Man hat den Eindruck, dass die Kathedrale und die Oper sich täglich zuwinken. Dieser Platz hat vor einigen Jahren viel Leid gesehen. Heute am 19.06.2011 sind wir Zeugen der Kulturtage der Deutschen aus dem Banat. Eine Trachtengruppe aus München, Vertreter der Landsmannschaft und wir, sind angereist um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Schüler und Erwachsene aus den umliegenden deutschen Schulen, meist rumänisch sprechend,  tragen die Trachten aus dem Banat. Es war sehr ergreifend den ganzen Platz vor der Oper, überseht mit Menschen, die unsere Tracht in Ehren halten, zu sehen. Tränen flossen und der Knoten im Hals drohte anzuschwellen. Die Kirchweihrufe ließen keinen Zweifel aufkommen, dass dies unsere Vergangenheit war. Andere Menschen tragen unsere Trachten, andere Menschen leben nun hier.

Wir wollten es so.

Maria Radna

ist ein Kleinod, ein Schmuckstück in unserer Erinnerung. Den Weg, den wir früher mit der Prozession zu Fuß zurücklegten, bewältigte nun unser Bus. Die Senken, die früher für Pferd und Wagen gefährlich wurden, schaffte unser Bus mit leichtem Schnauben und anspannen der Nüstern, locker. Wir sitzen bequem, doch unser Gedächtnis sagt uns „Hier hatten wir schon Blasen an den Füßen.“ Von Weitem hält der Kirchturm nach uns Ausschau und ruft „hier bin ich immer noch und warte oft vergebens.“ Bei näherem Hinsehen stockt uns der Atem. Der Turm in Fetzen von Stahl Blech und  Folie hat schon bessere Zeiten erlebt. Er winkt uns mit seinen Fetzenflügeln aus Plastikfolie krank zu. Krank sind auch die  schönen alten Bäume vor der Kirche. In den  noch verbliebenen Bäumen säuselt der Wind,  rauschen und singen die Blätter, um uns willkommen zu heißen. Ein geschäftstüchtiger Herr stellt seinen Stand mit Rosenkränzen rasch auf. Meine Schublade im Gehirn öffnet sich leise und bringt die Wallfahrten von früher hervor. Wägen bedeckt mit Planen, geschmückte Pferde, Mensche mit einer Bitte an Maria in der Seele, Kinder mit glänzenden Augen, beim Erblicken der vielen Schätze an den Ständen. Ranerquartier, Ranerbetten, Ranerbrotzeit, Beten, Lachen, Zufriedenheit erfüllt den Ort, vor der sich auf einem Hügel erhebenden Kirche.

Es war einmal.

Auch wir wollten an diesem Tag, Bitten an Maria richten. Der Gottesdienst war schön. Andächtig schmetterten wir unsere Lieder. Diese wurden fast verschluckt von dem riesigen Raum der Kirche. Klein und unwichtig kommt man sich hier vor. Eingekehrt in unserem inneren Ich war der Zustand der Kirche im Moment unwichtig. Wir haben unsere Seele wiedergefunden. Das ist das Wichtigste. Der Priester hier ist zuversichtlich. Er ist voller Hoffnung und Kraft, setzt sich pausenlos ein, damit Maria Radna wieder zum Leben erweckt wird. Ein Schauer lief uns über den Rücken, als Pfarrer Reinholz uns das frühere Franziskanerkloster zeigte. Es wurde lange Zeit missbraucht. Er berichtet uns von den Menschen die hier untergebracht waren, Alte, Kranke, Mittellose. Ich habe den Eindruck jeder Ziegelstein hier, ist durchtränkt vom Klagen, Verzagen und von den Tränen dieser Menschen. Mir ist nicht ganz wohl dabei. Wir standen in der früheren Wohnung des Bischofs Pacha. Die Dielen sangen ihr eigenes Lied unter dem Druck unserer Füße. Wir betraten den rostigen, wankenden Balkon des Bischofs und sahen die herrlichen Hügel der Umgebung, die Zeugen dieses Unterganges waren. Pfarrer Reinholz ist ein Kämpfer. Er zeigt uns Pläne der Restaurierung und ist optimistisch. Alles soll in fünf Jahren in neuem Glanz erstahlen.

Eine deutsche Wallfahrt gibt es schon in diesem Jahr. Jeder von uns fragt sich „werde ich nochmals hierher kommen?“ Schön  war es an diesem Tag in unserem Ranerquartier in Baracka. Ein netter Herr aus Kleinsanktnikolaus, der jetzt in Deutschland wohnt, verbringt seine Sommer hier in seinem Haus und Garten, hat uns zu einem Picknick eingeladen. Bei unserer Ankunft zischten schon die Kohlen im Grill, und die mici warteten auf ihren Einsatz.

Es war eine glückliche Atmosphäre. Gespeist wurde auf Biertischen oder Decken. Unsere Rücken suchten sich den geeigneten Platz. Unter Nussbäumen ruhten wir uns aus. Die Stimmung war wie früher nach der Messe.

Frohnleichnamstag

Ganz Neu-Arad ist auf den Beinen. Eine Woche vorher sammeln wir Kinder in großen Körben, Blumenblätter. In den Gassen werden die vier wunderschönen Altäre aufgebaut.

Die Kommunionkleider werden aus dem Schrank geholt. Mit weißen Kleidern und blauen Schleifen wurden wir Marienmädchen. Gemeinsam ziehen wir durch die Straßen. Die Marienmädchen streuen Blütenblätter. Das Allerheiligste vom Pfarrer unter einem Baldachin getragen, erreicht einen der Straßenaltäre. Es wird gesungen und gebetet. Nein, das war nicht heute am 23.06.2011 so. Heute hält der Pfarrer in der Neu-Arader  Kirche, den Gottesdienst in zwei Sprachen. Deutsch, für vielleicht zehn Gläubige und ungarisch, kann sein für drei oder vier. Heute sind noch wir dabei, wir die mit bangen Blicken das Geschehen verfolgen. Die Prozession verläuft im Laufschritt von einem zum anderen Seitenaltar in der Kirche. Das innbrüstige Singen und Beten gehört der Vergangenheit an.“ Unsere“ Kirche bleibt unsere in Erinnerung.

Die Sonne mit aufgeblähter Brust wälzt sich über Wiesen und Felder. Mit ihrer glühenden Zunge verbrennt sie das Gras. Das Grün hat seine Kraft verloren, sein Lebenswille ist erdrückt. Es ist 39 Grad im Schatten. Die Fahrt durch deutsche Dörfer führt uns durch Saderlach, Lenauheim, Gottlob und viele andere. Wir besuchen das „Schwabenhaus“.

Der Schwabe versteckt sich nur im Wort. Von einem richtigen Schwabenhaus blieben nur die Mauern stehen. Wunderschön erstahlt mitten in der banater Heide ein schönes Uhrenmuseum im früheren Pferdestall, ein Restaurant in der Scheune und eine Pension im Wohnhaus. Das Nikolaus Lenau Museum war interessant und lehrreich.

Wir haben diese Reise nicht gemacht um zu vergleichen, wie es war und wie es heute ist, aber unser Geist spielt verrückt. Jemand flüstert uns ständig ins Ohr „wie schaut es denn hier aus?“ Viele Häuser und Kirchen verweist, andere herausgeputzt, als würden sie uns zurufen „Wir schaffen es zu überleben, auch ohne euch“.

Wir haben überall königlich gespeist und wurden kaiserlich bewirtet.

In Temeswar wurde für uns eine Torte gebacken, mit der Aufschrift „ Herzlich willkommen daheim.“ Alle Köstlichkeiten wurden vor uns ausgebreitet. Sarmale, micci, ciorba de perisoare, mamaliga, ließen uns das Wasser im Mund zusammenlaufen. Tuca machte uns lustig und die leckeren Süßigkeiten,angefangen von dobos, savarina, bucuresti bis cremes und profiterol machten uns glücklich und  zufrieden.

Der letzte Abend war gekommen. Mit leisen schritten näherte sich das Abschiednehmen. Vorher wurde noch richtig gefeiert. Der Herr der seine Jugend in unserer Gasse verbracht hatte, suchte bei mir und meinen Cousinen während der ganzen Zeit eine Ähnlichkeit mit den Hessermaderln. Nach der Feier kam er zu mir und sagte:“ ich hab`s das Temperament ist das gleiche.“

Nach dem guten Essen und Trinken, Tanzen und Singen, fragten wir Toni „wann fährst du wieder?“

Katharina Frisch geb.Fisch

Ein Gedanke zu „Auf in die Alte Heimat“

  1. Herzlichen Dank Frau Frisch für Ihren tollen Reisebericht, den ich, dank Ihrer herzerwärmender Erzählkunst, wenn auch nur gedanklich, voll miterleben durfte. Da steckt mehr dahinter, Frau Frisch, wir würden uns alle freuen, bald wieder was von Ihnen zu hören!

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